uns als Vorratskiste für Brennholz diente. Immer wenn mein Vater sich aus unserem Laden, wir hatten eine Drogerie in der Michaelisstrasse, näherte, bin ich schnell darunter gekrochen. Aber der Spass währte nicht lange. Eines Tages entdeckte er mich. Er konnte aber absolut nicht ernst bleiben, denn die ängstlichen Augen brachten sein Herz zum schmelzen und schmunzeln.In der Badewanne

[Naumburger Original]

In der Schulstraße wohnte ein Original von Naumburg. Es war "Aschen-Richard". Die Kinder ärgerten ihn natürlich, indem wir seinen Spitznamen nachriefen. Jedoch hat er sie oft ohne Erfolg verfolgt. Auch bei uns am Geschäft fuhr er eines schönen Tages mit einem Handwagen vorbei. Ich dachte mir, jetzt kannst du ja auch einmal richtig laut rufen "Aschen-Richard!", denn ich hatte ja mein Zuhause hinter mir. So geschehen. Oh je, er verfolgte mich bis in den Laden hinein. Mein Vater stand gerade hinter dem Ladentisch und konnte sich schon denken was passiert war. Aber beide Männer haben nur darüber geschmunzelt und ein paar Worte ausgetauscht, weil ich so schrecklich Angst hatte. Sicher wäre es bei Harry Piel (wäscht die Beine in Persil) nicht so ausgegangen, denn er verfolgte die Kinder mit dem Stock und hätte auch die Kinder verhauen, wenn er sie überhaupt erwischt hätte. Er war zum Fürchten. Bei ihm war ich vorsichtig.

[Michaelis-Drogerie]

Übrigens gründeten meine Eltern 1927 in der Michaelisstraße die Drogerie, die sie trotz ständiger Bedrängnis ca. 1950 durch die HO weiterhin selbständig führen konnten. Mein Vater hatte sich mit Händen und Füßen gegen eine Kommission mit der HO gewehrt, und er hatte Erfolg. Für den Erhalt des Geschäftes haben meine Eltern gekämpft. Auch zum Wohle ihrer Kinder. An dieser Stelle spreche ich meinen Eltern Hochachtung und Dank aus. Bis weit über 70 Jahre führten sie die Drogerie bei noch recht guter Gesundheit. Leider kam keine Drogerie wieder in den Laden, was [...] besser gewesen wäre, denn nun mußten unsere treue Kundschaft weit in die Stadt laufen um Drogerieartikel zu kaufen.

[Kinderschar]

Meine beste Freundin war Liesel, die in der Kösener Straße 2 wohnte. In diesem Haus waren sehr viele Flüchtlinge untergebracht. Alles Mütter, die ihre 4 bis 5 Kinder allein erziehen mußten, da die Männer noch in Gefangenschaft waren oder waren gar in Stalingrad gefallen. Die Kinder hatten sehr sehr wenig zu essen und hatten oft Heißhunger. Mein Vater ging oft über Land und konnte dort aus dem Geschäft vieles tauschen, so dass es uns noch relativ gut ging. Deshalb luden wir Liesel oft zum Essen ein.

In der Kösener Straße 2 konnten wir wunderschön im Hof spielen. Die Besitzerin des Hauses, Frau Kampff, hatte viel Verständnis für die vielen Kinder. Es waren 25 Kinder an der Zahl, die in dem Haus wohnten. Teilweise brachten sie natürlich auch noch Freunde und Freundinnen mit, so dass wir u. a. ganz toll Völkerball, Brandball, Versteckspiel, Blumenhaschen und dergleichen mehr spielen konnten. Diese Zeit möchte ich aus meiner Kindheit nicht missen. Sie war trotz der schweren Zeit wunderschön für uns. Auch Theater konnten wir in den riesigen Räumen prima spielen und es wurde den kleineren Kindern vorgeführt. Die Mütter waren von unserem Erfindergeist sehr erfreut.

Es muß einmal von Hochachtung gesprochen werden, denn in der riesigen Wohnung im 1. Stock von Liesel Königs Mutter, sie hatte 4 Kinder, waren noch Frau Kramer (Ehegatte war in Stalingard gefallen) mit 5 Kindern und die Familie Kähler mit 4 Kindern untergebracht. Frau König hat aber alles hervorragend gemeistert und es war immer eine Harmonie. Wir Kinder haben nie und nimmer einen Streit der Erwachsenen erlebt. Schulfreundinnen waren natürlich auch immer noch dabei. Wir haben wunderbar gespielt. Sonntags gingen wir dann größtenteils in die Moritzkirche (Pfarrer Wagner), denn Königs waren und sind sehr gläubige Menschen. Mit 10 Jahren kamen Liesel und ich zu den Jungmädeln. Hier kamen wir in die Spielschar von Eva Schäfer. Sie hat uns prima beschäftigt und hat viel mit uns unternommen. Wir mußten viel Kräuter sammeln, Fahnenappell und zu Anlässen marschieren, z. B. zum Sportfest ins Friesenheim usw., war natürlich damals sehr wichtig. Aber so gestriezt wie die Jungens wurden wir natürlich nicht.

Das Spielen in der Kösener Straße hatte ein Ende, denn die drei Familien siedelten nach dem Westen. Liesels Vater z. B. bekam nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft, eine Anstellung als Amtsrichter in Usingen. Dies war dann später auch meine Anlaufstelle als ich Naumburg verließ.

[Klavierstunde]

Ab 1943 ging ich in die Klavierstunde zu Fräulein Linde. Sie wohnte im 4. Stock des Cafe-Central (im CC). Hier gab es jedes Jahr vor der Weihnachtszeit ein Klaviernachmittag, wobei alle Schüler ihre Fortschritte den Mütter oder Geschwistern zeigen sollten. Einmal mußte ich Fräulein Linde zu ihrem Gesang begleiten, und zwar zu "Drei Könige wandern ins Morgenland, ein Sternlein führt sie zum Jordanstrand...". Na ja, ich fand, es klang schon ziemlich schrill. Aber natürlich konnte sie ja nicht mehr so eine Glockenstimme haben wie wir. Bei Ihr habe ich 4 Jahre Unterricht gehabt. Man sollte schon einmal wechseln, deshalb ging ich noch zwei Jahre zu dem Organisten Löbnitz Am Freien Blick. Liesel ging leider nicht zu Fräulein Linde in die Klavierstunde. Sie wurde von Fräulein Bamberg in der Lepsiusstr. unterrichtet. Aber trotzdem konnten wir oft zusammen vierhändig spielen. Das bot sich dann immer an, wenn wir ein Theaterstück aufführen wollten.

[Schulzeit]

Mit 6 Jahren wurde ich in der Schulstrasse in die Hans-Schemm-Schule eingeschult. Mein Bruder Alfred (er ist leider aus dem Krieg – noch im Januar 1945 – nicht wieder zurückgekehrt) nahm mich liebevoll an die Hand, was eigentlich auch damals für einen Jungen von 14/15 Jahren nicht so selbstverständlich war, und er begleitete mich erst in meine Schule, bis er seinen Weg zum Realgymnasium in der Weißenfelser Straße antrat.

Nach der 4. Klasse wurde ich in die Luisenschule in der Artilleriestraße eingeschult. Doch die Irrungen und Wirrungen des Krieges haben uns immer wieder in verschiedene Schulen gebracht. So waren wir kurz im Domgymnasium, wo heute die Generalstaatsanwaltschaft untergebracht ist, und zwar am Neuengüter. Von dort aus konnten wir, Liesel und ich, sehr gut bei Fliegeralarm nach Hause rennen. Es war immer sehr aufregend, aber ich war froh, dass ich bei meinen Lieben sein konnte. Mein Vater allerdings war beim Roten Kreuz und mußte sich bei Fliegeralarm immer in der Walter-Flex-Schule einfinden.

Nach 1945 kamen wir Mädchen dann in den Ostflügel, und die ganzen Jungen der Gymnasien in den Westflügel der "Napola". Das war das erst Mal, dass wir überhaupt gemischt in einem Gebäude waren. Allerdings nicht in den Klassen. Sogar auf dem Schulhof hieß es, dass die Jungen den oberen Teil des Schulhofes und die Mädchen den unteren Teil des Schulhofes benutzen sollten. Dabei ist es natürlich nicht geblieben. Alles rannte durcheinander. Später dann wurden wir, alle Jungen und Mädchen, aus der ehemaligen Napola verlegt, und zwar ein großer Teil ins Lyzeum der Artilleriestraße, die mittlerweile in Humboldtschule umbenannt wurde, und in die Schule der Seilergasse, was vorher einmal Berufschule war. Das Realgymnasium in der Weißenfelser Straße wurde dann Berufsschule. In die ehemalige Napola zog später die Volkspolizei.

Nunmehr wurden wir immer mehr an ein neues Regime herangeführt. Latein wurde z. B. abgeschafft und dafür wurde Russisch ersetzt. Es gab für jede Klasse eine FDJ-Stunde, die von einem Schüler der Oberprima gehalten werden mußte. Wir und auch dieser Oberprimaner nahmen die Sache überhaupt nicht ernst. Im Gegenteil. Er hieß Matuscheck, genannt Schecke. Ich gehörte sowieso zur Jungen Gemeinde, so daß ich mich schon aus Protest für die FDJ und dgl. nicht interessierte. Dr. Schwarz, unser Mathe-Lehrer, bei dem mir übrigens Mathematik sehr viel Spaß machte, nahm mir die Nadel (Kreuz mit Kreis) ab, und legte sie mir in die Hand. Er hatte mir bzw. uns empfohlen sie nicht zu tragen. Kurz darauf wurde sie doch wieder angesteckt. Später hatte man aber schon mit Repressalien zu rechnen.

[Hochwasser]

Eines schönen Tages ergossen sich Wassermassen vom Bürgergarten über den Salzberg in die Kanalstrasse. Zu diesem Zeitpunkt traf ich gerade Renate aus meiner Klasse. Sie war in der Stadt und schaute sich diese Strömung an. Sie kam dann noch mit zu mir, und seitdem sind wir bis heute sehr gute Freundinnen. Nach dieser Hochwasserkatastrophe sind wir bis zum Abschluß der Schule unzertrenntlich gewesen. Renates Elternhaus in der Kanonierstr. (Rosa-Luxemburg-Str.) wurde von den Russen besetzt, so dass sie es räumen mußten. Ihre Mutter und ihre Geschwister zogen in die Kösener Strasse in das Haus von Fräulein Bier; auch eine Lehrerin so wie Renates Mutter. Wie schön, denn nun hatten wir auch immer einen gemeinsamen Schulweg.

[Kinderspiel]

Wir [Renate und Eva] verbrachten viel Zeit bei uns in der Gartenlaube, wo wir bis zum Abwinken das Kartenspiel "Mauscheln" spielten. Aber nicht nur so, nein, es ging um Reichsmark. Zuerst wurde mit Papierschnippseln gespielt, die aber dann in harter Währung ausgezahlt wurden. Unser Nachbarsjunge, Hans, spielte mit sowie Werner, genannt Hirsche, der in unserem Haus so wie ich geboren wurde. Da er nur ein paar Monate älter war, wuchsen wir auf wie Geschwister, verbrachten die ganze Kindheit und Jugend miteinander und seine Eltern waren für mich Mammi und Papi so wie meine Eltern für ihn ebenfalls. Das Kartenspiel ging so lange, bis uns die Währungsreform einen Strich durch die Rechnung machte. Außerdem ließen die schulischen Leistungen nach, so dass ein Blauer Brief unvermeidbar war. Das Teufelsblatt wurde von unseren Eltern verbrannt.

Vor der Phase des Kartenspielens kamen viele Nachbarskinder zu uns zum Spielen. Wir machten Geländespiele, liefen Stelzen und schaukelten mit Abspringen. Je weiter desto besser.

Aber irgendwann kam die Zeit, dass meine Bewährungszeit von meinen Eltern aus vorbei sei, und ich solle mich nunmehr reiferen Dingen zuwenden. Sollte damenhaft werden.

[Jugendzeit]

Nach meiner Konfirmation ging ich dann in die Tanzstunde, die uns natürlich auch viel Unterhaltungsmöglichkeiten bot. Es war ein neuer Abschnitt in meinem Leben.

Ich ging zu Mathilde und Erich Döring in die Tanzstunde, außerdem wurden wir oft von der Tanzschullehrerin der Pfortaer Schüler, Frau Höltzer-Hallmann, nach Pforta eingeladen, die an Mädchenmangel litt, weil Schulpforta eine reines Jungeninternat war.

In Schulpforta wurden von den Schülern Theaterstücke aufgeführt, von denen Renate und ich total begeistert waren. Es waren "Antigone" und "König Ödipus". Die Hauptdarsteller waren die Gebrüder Kreysig. Wir waren ganz begeistert.

Im Jahr 1949 hatten wir in unserer Klasse ein sehr trauriges Erlebnis, was uns sehr betroffen und traurig machte. Anneliese, eine hübsche und liebenswerte Schulfreundin und einzige Tochter der Familie Unzner, starb. Sie glaubt das Feuer im Herd sei aus gewesen. Sie wollte es mit Methanol wieder anfachen, denn Kohlenanzünder waren rar. Die Flammen schlugen zurück. Sie erlitt Verbrennungen 3. Grades. Sie hat noch viele Tage unter unsagbaren Schmerzen leiden müssen.

Nach dem Abschluss der Schule, erlernte ich in Jena den Beruf "Optikerin". Auch hier traf ich Schulfreunde von Naumburg wieder, die ebenfalls den Beruf des Optikers erlernen wollten. Ich hatte aber nach der Lehre in Jena überhaupt keine Möglichkeiten, auf die Ingenieurschule zu kommen, weil ich kein Arbeiter und Bauernkind war Deshalb beschloss ich, in den Westen zu gehen. Zunächst nach Usingen zu Liesel. Ich war 23 Jahre. Liesels Eltern hatten mir den Start im Westen sehr erleichtert. Zu meinem nächsten Besuch bei meinen Eltern, der schon Weihnachten war, meldete ich mich dann in Naumburg regulär ab und gab an, dass ich meinen Beruf in Wetzlar weiter ausüben möchte, worauf man mir antwortete: "Na, solche Elementen brauchen wir ooch nicht." Das war ein hartes Urteil, aber ich habe gewußt, wer es sagte!