DJ. Das Deutsche Jungvolk von Naumburg war in einem Jungstamm zusammen gefasst. Der Jungstammführer trug eine weiße Schnur. Ein Jungstamm bestand aus mehreren Fähnleins, in Naumburg, glaube ich 9 an der Zahl. Ein Fähnleinführer trug eine grün-weiße Schnur, der Jungzugführer eine grüne und der Haupt jungzugführer eine schwarz-grüne . Ein Jungzug untergliederte sich in 3 Jungschaften. Ein Jungschaftsführer trug eine kurze rot-weiße Schnur. Mein Jungschaftsführer war zunächst Axel Krefeld noch im Fähnlein 6, dann Jochen Meusel im Fähnlein S (Sonderfähnlein, Jungzug Führeranwärter) . Das Fähnlein S bestand aus den Jungzügen Spielschar, Führeranwärter und, ich glaube, Fanfarenzug. Ein Bastelzug war, so glaube ich, auch dabei.

Ein Jungvolk-Fähnchen im Siedlungsviertel (Foto: Leihgabe Hans-Dieter Schütze, Jeßnitz)Ein Jungvolk-Fähnchen im Siedlungsviertel (Foto: Leihgabe Hans-Dieter Schütze, Jeßnitz)Zweimal in der Woche war nachmittags Dienst. Auf der Vogelwiese wurde angetreten. Jedes Fähnlein hatte seine eigene Fahne, schwarz mit weißer Siegesruhne, oben links die Fähnleinnummer, an der Spitze der Fahnenstange eine Zier, ich weiß nicht mehr genau welche. Zu Ende des Dienstes wurde wieder auf der Vogelwiese angetreten, die Fähnleinfahnen wurden präsentiert, dabei wurde das Lied gesungen: “Grau wie die Erde ist unser Kleid, graue Soldaten in sturmschwerer Zeit”. Dabei rückten die Fahnenträger der einzelnen Fähnlein mit präsentierter Fahne auf die Mitte des Karees vor, bildeten dort eine Fahnenkolonne, immer noch präsentiert, welche dann im Haus der Jugend verschwand und die Fahnen dort unterbrachte.

2. Geländespiele

Jeder Pimpf hatte einen DJ-Ausweis, der einmal im Monat gestempelt wurde, dazu gab es eine Dienstbenotung . Bisweilen gab es auch sonntags Dienst. Dann zog man mit Fahne z.B. zum Sperlingsholz. Oben auf der Höhe angelangt wurden die Ausweise gestempelt. Dann wurde das “Ausschwärmen” befohlen. Die meisten kletterten auf Bäume. Andere kletterten auf einer hölzernen Panzerattrappe herum. Zu Ende dieses Ausflugs mußte die Fahne wieder ins Haus der Jugend gebracht werden.
Geländespiele gab es unter der Woche z.B. im Bürgergarten und auf dem Exerzierplatz. In einer Schlucht oberhalb des Bürgergartens wurde ein Überfall geübt. Die eine Partei mußte sich unter Fichten verbergen, die andere Partei sollte überfallen werden. Als die zu überfallende Partei durch die Schlucht zog, stürmte die verborgene Partei aus der Deckung hervor und es gab Ringkämpfe Pimpf gegen Pimpf. Das Pfeifen der Jungzugführer beendete das Spektakel.
Ein anderes Mal zogen wir zum Exerzierplatz. Auf einem Baum wurde ein Brief versteckt, der zu erbeuten war. Zwei Parteien wurden gebildet, die Angreifer und die Verteidiger. Die Einen trugen ihr Fahrtentuch um den rechten Arm gebunden , die anderen um den linken. Die Fahrtentücher sollten mit einer Schleife zugebunden werden, nicht mit einem Knoten. Wenn es dem Gegner gelang, die Schleife aufzuziehen, war der Gegner sozusagen “tot” und er schied aus. Ganz Gewitzte machten dennoch einen Knoten in das Fahrtentuch, so dass es sehr schwer war, diesen Gegner matt zu setzen. Das sollte eigentlich nicht sein, wurde aber praktiziert. Die Ehrlichen waren die Dummen.

3. Große Geländespiele

Im Sommer 1944 gab es ein großes Geländespiel, das zusammen mit der Napola (NPEA) gleich National Politische Erziehungs Anstalt, früher Kadetten-Corps , durchgeführt wurde. Da es kein Manöver NPEA gegen DJ sein sollte, wurden die Parteien aus DJ und NPEA gemischt. An der Stadtmauer sollte Naumburg verteidigt werden. Die Angreifer mußten auf Schleichwegen zum Markt gelangen. Etliche dieser Angreifer kletterten an unbeobachteten Stellen über die Stadtmauer und gelangten auf den besagten Schleichwegen zum Markt. Naumburg wurde von den Verteidigern also nicht gehalten.
Im selben Sommer gab es auch einen Staffellauf rund um den Ring. An den Stabübergabestellen wurden diejenigen postiert, die nicht am Lauf beteiligt waren, sie waren somit nur Zuschauer. Ich glaube, das war alles im Zusammenhang mit der Woche der Jugend, in welcher wir die ganze Dauer dieser Woche Uniform zu tragen hatten, auch zur Beerdigung eines gestorbenen Klassenkameraden aus der Salztorschule. Da waren wenigstens alle gut angezogen. Am Sonntag fand ein großer Vorbeimarsch von der Vogelwiese durch die Jakobsstraße zum Markt statt. Die Jungmädel bildeten Spalier und wir mußten mit angewinkeltem Arm, Daumen, hinter dem Koppelschloss und Augen links paradisch marschieren.

4. Pimpfenprobe

Schon sehr früh im Sommer fand die Pimpfenprobe statt. Diese Prüfung bestand aus relativ zahmen sportlichen Leistungen: Weitsprung 2,50 m, 75 m Lauf in 12 Sekunden und sonst wohl noch einiges, z. B. Lernen: Unsere Fahne flattert uns voran, nur 1. Strophe Deutschlandlied; aber 3 Strophen “Horst-Wessel-Lied”. Aus Jux sang man “die Pfanne hoch, die Bratkartoffeln brennen”. Nach bestandener Pimpfen-Probe durfte man Schulterriemen und Fahrtenmesser tragen. Dann gab es die Aufnahme in das Deutsche Jungvolk mit einer Feier am Langemarck-Denkmal. Per Händedruck wurde dann die Aufnahme bestätigt, wobei man keinen Diener machen durfte. Das Naumburger Tageblatt berichtete über diese Feier. Bürgermeister Radwitz.war zugegen und selbstverständlich auch der Bannführer, der mit dem Dienstmotorrad gekommen war.

5. Die Invasion in der Normandie und der 20. Juli

Am Tage der Invasion wurden wir im Dienst darüber befragt, ob wir wüssten, was nun geschehen sei. Die meisten wussten es aus dem Radio. So ahnten wir doch damals nicht die katastrophale militärische Lage. Selbst Rommel forderte vom Führer Kosequenzen aus der Lage zu ziehen, was ihn das Leben kostete. Ahnten wir doch damals nichts vom 20. Juli, konnten und durften es auch nicht. Der Versuch, zu retten, was zu retten war, trug alte preußische Namen. Als diese Namen bekannt wurden, dämmerte es doch manchen. Welch eine Ironie: Unser Jungzug hatte einen Wimpel mit der Aufschrift “Yorck”, bekannt durch die Konvention von Tauroggen 1813. Nun war es doch ein Yorck von Wartenberg, der wesentlich am Aufstand des Gewissens beteiligt war. Unsere Großmutter war befreundet mit einer Frau von Hayessen. Und ein Hayessen war auch wesentlich beteiligt. “Man wechselt nicht die Pferde im Flusse” war damals manch ein Kommentar hinter vorgehaltener Hand.

6. Reichsjugendwettkämpfe und nahende Katastrophe

Im Spätsommer fanden die Reichsjugendwettkämpfe statt. Dies geschah auf dem Sportplatz des Domgymnasiums in den Moritzwiesen. Zu der Zeit waren wir doch ziemlich ahnungslos über die katastrophale militärische Lage.
Noch im Herbst wurde unser Jungstammführer eingezogen, auch der Fähnleinführer folgt bald nach. So wurde Martin Assmus zu unserem Fähnleinführer. Jungzugführer wurde ein NS-ausgerichteter Neuer, der uns über die NS-Kampfzeit unterrichtete. Jungstammführer wurde Just, ein strammer NS-Genosse, der aber nach dem Ende 1945 nahtlos zur FDJ überging.
Im Herbst 1944 gab es Bombenangriffe auf das Heeres-Zeugamt mit “Kollateralschäden”, wie man heute wohl sagen würde. Wir Pimpfe wurden eingesetzt zum Aufräumen in der Grochlitzer Straße. Rührende Frauen belohnten uns mit Äpfeln.

7. Beförderung

Am 9. November wurde ich zum Hordenführer befördert. Das war der allerunterste Dienstgrad, ein Winkel auf dem Arm. Zwei Winkel übereinander der Oberhordenführer, ein Stern der bestätigte Jungschaftsführer, Stern mit Winkel darunter Oberjungschaftsführer, meist trug diese Species schon die grüne Schnur des Jungzugführers. Zwei Sterne der bestätigte Jungzugführer, mit Winkel darunter der bestätigte Hauptjungzugführer, drei Sterne der bestätigte Fähnleinführer und 4 Sterne der bestätigte Jungstammführer, der eine weiße Schnur trug.

8. Flüchtlinge

Im November 1944 kamen die ersten Flüchtlinge aus Ostpreußen und aus Schlesien. Das Jungvolk wurde eingesetzt, den Flüchtlingen das Gepäck in ihre neuen Quartiere zu bringen. In der Gaststätte “Erholung” wurde ein Massenquartier für Flüchtlinge eingerichtet, ebenso in allen Turnhallen. Wir wurden auch eingesetzt zum Strohsackstopfen im Hofe der Salztorschule zur Unterbringung von Flüchtlingen. So stopften Markus am Wege, Sohn von Rechtsanwalt am Wege, und ich Strohsäcke und Kopfkissen. Die Salztorschule wurde dann bald Ersatzkrankenhaus.
Als die Turnhallen wieder geräumt waren, auch die “Erholung”, fand in der “Erholung” in Nachbarschaft der Vogelwiese eine Kundgebung für das Jungvolk statt, wozu wir vom Fähnlein S einen Kriegsruf einübten. Gotthard Lange, Sohn von Pastor Lange von der Othmarskirche, hatte einen Solopart übernommen, dazu Fanfaren und Trommelwirbel. Ein Offizier der Wehrmacht hielt eine Rede, von der ich jedoch nichts verstand.
Als die Lage in Hinterpommern immer bedrohlicher wurde, versammelte man uns im Domgymnasium und versuchte uns klarzumachen, dass alles nur Panzerspitzen seien. Auch der große Preußenkönig habe in fast aussichtsloser Lage durchgehalten. Nur ein zweites Mirakel des Hauses Brandenburg gab es eben nicht.

9. Endphase 1945

Als die Schule aufhörte - wohl, weil die Lehrer zum Volkssturm mußten - war an jedem Tage nachmittags Dienst und sonntags vormittags Führerdienst. Wer ins Kino ging, wurde vom HJ-Streifendienst herausgeholt. Wir mußten mit Handwagen Kohlen fahren für diejenigen, die um Hilfe gebeten hatten. Und wenn es nichts zu turn gab, spielten wir Völkerball auf der Vogelwiese.
Im Februar 1945 wurde das Volksopfer organisiert. Auf dem Marktplatz mußten wir Pimpfe, in Sprechchören rufen: “Laßt nichts verkommen und verrosten, helft unseren deutschen Volksgenossen aus dem Osten, wir rufen euch zum Volksopfer auf”. Wir wurden auch eingesetzt, um die gespendeten Sachen in die heutige “Alte Schmiede”zu tragen. Oder war es ein anderes Haus am Lindenring? Als ich am 7. März 1945 meinen 11. Geburtstag feierte, kam der neue Jungschaftsführer zu uns am Moritzplatz 1 und sagte, ich müsse noch viel diensteifriger werden. Die britischen Truppen hatten bei Wesel am Rhein schon einen Brückenkopf gebildet.

10. Das letzte Geländespiel

Anfang April 1945 gab es noch ein letztes Geländespiel im Buchholz. Alle Führer vom Jungzugführer an, aufwärts waren schon irgendwie dienstverpflichtet. Die Gestellungsbefehle hatten wir ausgetragen. Auch Gotthard Lange war verpflichtet worden, obwohl noch weit unter 18 Jahren. Aber in einen Film, der für Jugendliche unter 18 Jahren nicht zugänglich war, durfte er trotz Stellungsbefehl nicht hinein.
So blieben nur noch die Jungschaftsführer übrig. Das Geländespiel wurde vom Jungschaftsführer Schulze, dem älteren Sohne des Domkämmerers geleitet. Sein jüngerer Bruder, Winfried Schulze, war mein Klassenkamerad. Er organisiert heute noch von Mainz aus unser Klassentreffen, das nächste im September 2004 in Bad Kösen.

11. Führerdienst am Sonntag

Was mir nicht gefiel, war der Führerdienst an jedem Sonntag. Meiner Mutter gefiel das auch nicht. Was mir auch nicht gefiel, waren Sauberkeitsapelle. Hatte man zu viel Ohrschmalz im Ohr, mußte man auf der Vogelwiese in einem großen Kreis herumlaufen und rufen: “Ich bin ein Dreckschwein”. Posten waren aufgestellt, die einen ermahnten, auch das besagte Zitat zu rufen. Auch Fahrtenmesser wurden geprüft, ob sie blank waren. Waren sie es nicht, so flogen sie im hohen Bogen in den Sand, und man mußte diese nachher wiederholen.

12. Lieder, die wir lernten und sangen

Recht Lustig fanden wohl viele das Spottlied auf den Duce: “O, grande Mussolini, hei der Faschistico, sie fraßen Makkaroni, bis daß der Bauch zerplatzet vor lauter Fressico.”
Jedes Fähnlein hatte ein spezielles Fähnleinlied. Das Fähnleinlied des Fähnleins 6 war “Hoch auf dem gelben Wagen”. Beim Endvers “Aber der Wagen, der rollt “ verstand ich mitunter: “Aber der Magen, der knurrt”. Das Fähnlein S hatte als Fähnleinlied: “Wir sind vom ersten Steyerischen Tschechobattalion, Heil und Sieg der 1. Kompanie”. Und weiter: “Und ist der Friede da, so rufen wir hurra, nach alter Jägersart mit wip hurra, ja so gehen wir, ja so stehen wir” Die Melodie nach dem “Wir sind vom k. u. k. Infanterieregiment ...” Das kam mir zu habsburgisch vor. Da fand ich: “Der Preußenkönig hat gar viel Soldaten ...” sehr viel schöner.
Bei unserem damaligen Jungzugführer, Martin Assmus lernten wir: “Und ein Harung dick und stramm, der auf dem Meeresgrund schwamm, verliebte sich o Wunder in eine Flunder”. Noch im Fähnlein 6 lernten wir: “Es steht eine Mühle im Schwarzwälder Tal, die klappert so leis vor sich hin...” Das war doch eigentlich harmlos!

15. Begleitung eines Regimentes zum Bahnhof

Die Begleitung eines Regimentes zum Bahnhof empfand ich durchaus als ein sinnvolles Unternehmen. Hat es aber die Soldaten wirklich gefreut? Oder war es ihnen egal? Gibt es vielleicht noch Überlebende? Von der Kaserne am Sperlingsholz zog das Regiment zum Bahnhof. Die Pimpfe liefen rechts und links der Kolonne entlang und geleiteten das Regiment zum Bahnhof. Es war wohl im November 1944. Wahrscheinlich ging es an die Ostfront. Wie viele kamen wohl gesund zurück? Unser Fähnlein hatte die Patenschaft übernommen, und zu Weihnachten wurden Feldpostpäckchen geschickt. Wussten wir eigentlich, was diesem Regiment bevorstand, wohl kaum!
Wären die vielen Versuche, Hitler aus dem Wege zu schaffen nur geglückt, uns wäre viel erspart geblieben. Auch mein eigener Vater war Mitwisser des Umsturzversuches. Das Kommando als Regimentschef an der Front in Italien und sein Vorgesetzter rettete ihm durch Schweigen das Leben.
Bereits nach der Katastrophe vor Moskau im Winter 1941/42 wusste er, dass man mit einer um ein Drittel verminderten Streitmacht keinen Sieg mehr erringen konnte. Stalingrad und Kursk waren dann die Folgen dieser Hybris, ähnlich wie bei Napoleon.