Schlößchen am Markt. Durch ihn war es möglich die Lehrstelle zu bekommen. Ich war noch einen Monat 13 Jahre, da fing meine Lehre schon an. Zuerst wohnte ich in der Jägerstraße, Fleischerei Ehrhardt. Nach 6 Wochen bin ich dann umgezogen in das Schülerheim Vollrath. Für mich war das eine gewaltige Umstellung, erst als Einzelgänger und dann zwischen ca. 10-15 Schülern. Dort herrschte ein guter Ton und wir hatten zueinander ein gutes Verhältnis. Die meisten Schüler gingen aufs Domgymnasium, Realschule-Weißenfelserstraße. und ein Teil ging zur Mittelschule. Zuerst wohnte ich mit einem Schüler aus Karsdorf zusammen. Das Zimmer hatte die Sicht auf den Kasernenhof der ehemaligen Jägerkaserne. Dort waren 3 Scheinwerfer stationiert. Fast jeden Abend waren die in Aktion. Es war ein unvorstellbarer Krach. Jeder Scheinwerfer hatte seinen eigenen Stromerzeuger. 3 Schüler hatten das Abi gemacht, danach wurden sie gleich eingezogen.

Es war Kirschfestzeit und das war bei den Nazis verboten. (Die hatten einen anderen Namen dafür erfunden.) Ein Schüler konnte Klavier spielen und der spielte das Kirschfestlied, (“Auf der ganzen Vogelwies” usw.) Herr Vollrath machte gleich alle Fensterläden dicht und verriegelte alles, so dass kein Ton draußen zu hören war. Wir 4 waren so in Ekstase geraten, als wir das Lied mitsangen, dass wir einen Stuhl nahmen, jeder fasste an einem Stuhlbein an und rissen den auseinander und so hatten wir Schwert und Spieß. Herr Vollrath war von uns hell begeistert. Herr Vollrath war Sozialdemokrat und somit war er als Rektor von der Mittelschule abgesetzt worden. Nachdem die 3 Schüler eingezogen waren, bin ich mit einem Schüler aus Berlin in dessen Zimmer gezogen. Er hieß Roland Albroscheit. Wir 2 kamen gut miteinander aus. Wir beide waren von Haus aus christlich erzogen. Wir gingen, wenn es möglich war, am Sonntag zum Gottesdienst in den Dom. Das war für uns Jugendliche nicht so einfach. Irgendwie schlichen wir uns rein. Superintendent Mörike war unser Pfarrer. So wie der Gottesdienst begann, marschierte draußen die Hitlerjugend mit Fanfaren und Trommeln immer um den Dom, eine Stunde lang.

Roland und ich bauten einen Detektor in einer Zigarrenkiste. Er hatte das Wissen und besorgte das Technische. Es funktionierte dann auch. Wir wussten immer wo die Truppen standen und berichteten Herrn Vollrath. Wir hatten aber nur einen Kopfhörer. London oder Wilna waren unsere Sender. Wir berichteten Herrn Vollrath aber immer nur unter 4 Augen. Tagsüber versteckten wir das Gerät. 1944 zu Weihnachten fuhr er nach Berlin zu seinen Eltern. Unterwegs wurde er von der Militärpolizei (Kettenhunde) gegriffen. 1989 im Januar war ich in Westberlin. Im Telefonbuch machte ich seine Adresse ausfindig. Ich rief ihn an und wir trafen uns.

Da erzählte er mir seine Geschichte. Nach einer Kurzausbildung kam er an die Ostfront. In der Tschechei kam er in Gefangenschaft. Die Russen übergaben sie alle an die Tschechen. Es geschah auf der Karlsbrücke in Prag. Ein ganzer Transport marschierte, sie wussten es, zum Erschießen. Mitten auf der Brücke kniete er sich hin und betete, es kamen Amerikaner entgegen, die frugen was das soll? Es wurde ihnen berichtet was geschehen sollte. Die Amerikaner übernahmen das Kommando und übergaben den ganzen Trupp den Russen. Wie mir Roland erzählte, hat er ein Gelöbnis vor Gott abgelegt, daß wenn er heil da heraus kommt, will er sich ganz der Kirche zur Verfügung stellen. Im August wurde er nach Westberlin entlassen. Er machte das Abitur nach. Er studierte Jura. Nun löste er sein Gelöbnis ein, dass er sein Leben lang ohne Honorar Kindergottesdienst hielt.

Wie schon erwähnt, fing meine Lehrzeit mit dem 13. Lebensjahr an, im Mai wurde ich 14. Jeden Freitag der Woche war Berufsschule. Die fing 7.30 Uhr an. Im Sommer war die Arbeitszeit von 6.30 Uhr bis 18.00 Uhr. Da 1 Stunde bis zur Berufsschule noch Zeit war, mußten wir noch ¾ Stunde arbeiten. Im 1. Lehrjahr gab es 5 Reichsmark die Woche, im 2. 6,- und im 3. 7,-. Alle 14 Tage hatte ich Sonntagsdienst und da gab es 1,- mehr. Im Winter auch jede zweite Woche Heizdienst. Bei Kälte dauerte der Dienst bis 24.00 Uhr, da gab es für jeden Abend 1,- Reichsmark. Die Lehrlinge nahmen das ohne zu murren hin. Wir wussten Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Da die Lehrmeister und Berufsschullehrer sehr tüchtige Leute waren und wir aufpassten, konnte man viel lernen.

Als ich Lehrling im ersten Lehrjahr war, fuhr ich mit dem Lehrling, der im 3. Lehrjahr war, viel mit dem Rad umher. So waren wir in Bad Kösen auf dem Himmelreich. Da gab es Bratkartoffeln ohne Marken. Es bekam jeder von uns eine Portion und ein bierähnliches Getränk dazu. Als wir wieder zu Hause waren, hatten wir denselben Hunger wie zuvor. Da wir Lehrlinge keinerlei Ablenkung hatten; wie Fernsehen, Radio, Disco usw. konnten wir uns ganz auf unseren Beruf konzentrieren. So gingen wir abends in andere Betriebe und sahen wie man’s da machte. Es muss 1943 gewesen sein, da waren wir in einer Gärtnerei und ich sah da ein wunderschönes Mädchen. Ich frug meine Kollegen werd die sei, man sagte mir hier hätte ich wohl keine Chance. Ich ging öfter dahin, aber ich war schüchtern und das Mädchen auch. Es fielen die Bomben in Naumburg, wir wurden in alle Welt zerstreut. Erst 1948 waren wir beide nicht mehr so schüchtern, 1951 wurde es meine Frau. 4 Wochen vor unserer Goldenen Hochzeit starb sie.

Zum Schluss möchte ich noch eine Begebenheit erzählen: Im Februar 1945 machte ich die Gärtnergehilfenprüfung, so nannte man das damals. Anfang März bekam ich die Einberufung nach Halle auf den Flugplatz. Als Herr Vollrath mir die Einberufungskarte gab, war es abend. Ich setzte mich auf das Fahrrad und fuhr nochmal nach Haus Berglinden und berichtete es Fräulein von Usedom. Sie frug ob ich dahin wollte, ich sagte ihr, dass ich Tag und Nacht arbeiten wolle, aber nicht in den Krieg ziehen. Sie nahm meine Karte und sagte zu mir, ich solle am nächsten Tag eine Stunde eher im Betrieb sein. In der Nordstraße war das Wehrbezirkskommando und bei dem Oberstleutnant Kind hatte sie es geregelt. Er hat meine Karte unter den Stapel anderer Karten gesteckt, wenn sie aber wieder oben auf ist, dann müßte ich weg. Aber die Amerikaner waren schneller. Ich durfte nicht mehr in die Stadt und wohnte dann in Berglinden.

2 Stunden war ich in Gefangenschaft! Die Amerikaner machten, wie öfter, Kontrollgänge. Die sahen mich in der Gärtnerei. Sie frugen nach den Dokumenten, ich ging in die Gärtnerei, wo meine Jacke war und die gingen immer mir nach. (Ich war 1944 einmal zu einer Militärausbildung und das bekamen wir zum Schluss einen Ausweis und den hatte ich noch in meiner Tasche.) Den sahen die und so mußte ich mit. Jetzt machten die einen Fehler, sie gaben mir den Ausweis zurück. Ich zog meine Jacke an, kurze Hosen und barfuß in Holzpantoffeln, so ging ich bis an die Eisenbahnbrücke, die nach dem Ostbahnhof geht. Dort stand ein Jeep, der aber schon voll besetzt mit eingesammelten Leuten war. Nun kam ich noch dazu. Ich mußte auf die Motorhaube. Dort war eine Eisenstange, worauf sonst ein Maschinengewehr befestigt war. An der mußte ich mich festhalten. Nun ging die Fuhre los, ein Neger war der Fahrer. Es ging über den Postring, da verlor ich im hohen Bogen den ersten Holzpantoffel, dann ging es über den Markt, wo ich den 2. Pantoffel verlor, nun war ich barfuß. Dann ging es durch die Salzstraße, dann in die Jenaer Straße, wo ein christliches Hospiz war. Dort mußte ich als Einziger in den Keller. Der Keller war ca. 10 cm mit Seifenwasser überflutet, und das barfuß. Man nahm mir mein Gärtnermesser ab und auch den Gürtel. Nun muss ich noch dazu sagen, als ich mich nun auf dem Jeep an der Eisenstange festhielt, habe ich unterwegs in meine Tasche gefasst und habe den Ausweis, den die Amis wiedergaben unbrauchbar gemacht und unterwegs fallen lassen. Nach einer Zeit kam ein Offizier und frug mich warum ich hier wäre, ich sagte, dass ich das nicht wüsste und sagte dann, dass ich kein Soldat gewesen sei. Nach einer Zeit kam er wieder und gab mir mein Messer und den Gürtel wieder und gab mir eine Zigarette, dann gab er mir die ganze Schachtel und schickte mich heim. Meine Pantoffel fand ich nicht wieder. Der Ami sprach Deutsch mit sächsischem Dialekt.

Mit dem Finneexpreß fuhr ich alle 14 Tage nach Hause. Der Finneexpreß ging bis Kriegsende bis Kölleda bis zur Pfefferminzbahn die dann bis Buttstädt ging. Zum Kriegsende wurde dann die Brücke bei Roßbach gesprengt. Wir mußten dann bis sie wieder ganz war bis dort laufen.