Seminarstraße voran. Alle hatten sich dafür Trachten, Uniformen und Kleider beschafft. Dann erfolgte die Aufführung. Zuerst wurde das friedliche Leben hinter der Stadtmauer gezeigt. Die Handwerksleute zogen getrennt nach Berufen auf und sangen Lieder ihrer Zunft. Die Frauen und Mädchen gingen ihrem Tagewerk nach und tanzten und sangen zum bevorstehenden Johannistag. Alle erstarrten in Schrecken als die Hussiten in Landsknechtstracht mit Schwert -Attrappen und Spießen sich der Stadt näherten um den Tod ihres Reformators zu rächen. Die jüngsten Schulklassen bildeten den Zug der Kinder zum Prokop um Gnade für die Stadt zu erbitten. Nach Ende unseres Spieles bekamen wir großen Beifall von den vielen Zuschauern.
Würstchenangeln
In meiner Jugendzeit vor dem 2.Weltkrieg stand während des Kirschfestes an der Ostseite der Vogelwiese ein grösseres Zelt, das Referendarzelt. Wahrscheinlich handelte es sich um Referendare, die an den Naumburger Gerichten tätig waren und das Kirschfest bis spät in die Nacht und immer in guter Stimmung feierten. Neben diesem Zelt hatten meine Eltern ein Familienzelt zusammen mit einer befreundeten Familie. Alles, was an Speisen und Getränken an den Festtagen gebraucht wurde, musste von zu Hause herangeschafft werden. Wegen Platzmangel wurden manchmal selbstgebackene Kuchen an den Kastanienbäumen hinter dem Zelt abgestellt. Hierauf warteten unsere Nachbarn, um eine kleine Kostprobe heimlich zu stibitzen. Mit einem kleinen Umtrunk wurde der Festtagsfrieden wieder hergestellt. Großen Zulauf bekamen die Referendare wenn sie vor ihrem Zelt in den Abendstunden “Würstchenangeln” veranstalteten. Eine Bockwurst, die an der Leine einer Angel befestigt wurde, ließen sie über die Zuschauer baumeln, bis es einem Anwesenden gelang, das Würstchen zu ergreifen. Alte Naumburger waren der Meinung, dass das Kirchfestlied von Referendaren Ende des 19. Jahrhunderts ersonnen worden sei.