schwangeren Mutter standen wir - fünf Frauen, ein alter Mann und sechs Kinder - zitternd im Vorgarten, während die amerikanischen Soldaten das Haus durchsuchten. In den Kleiderschränken der Erzieher hingen diverse Uniformen. Die Amerikaner, die von der Kontrolle aus dem Haus kamen, spuckten aus und sagten nur das eine Wort: "Nazi". Auf der Straße fuhren die Jeeps stadteinwärts; ein Jeep hielt vor unserem Vorgarten: Auf dem Jeep war ein MG montiert. Wir Kinder haben später erfahren, dass die Erwachsenen damit rechneten, dass wir erschossen werden sollten.
Es wurde uns klargemacht, dass wir Haus und Grundstück verlassen und uns auf der anderen Straßenseite ein Unterkommen suchen sollten. Schräg gegenüber der Na-pola-Schule befanden sich zwei Villen, die von älteren Zöglingen und Erziehern bewohnt wurden. Dorthin begab sich unsere kleine Karawane; am nächsten Tag sind meine Mutter und ich zu einer Bekannten am Othmarsplatz gegangen, wo wir für einige Zeit Unterschlup gefunden haben, bis unsere Wohnung wieder frei war. Als wir dorthin zurückkehrten, sah es wüst aus. In unserem Haus war die Funkstation untergebracht und in unserer Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer haben die amerikanischen Soldaten gewohnt. Mitte/Ende Mai 1945 setzten bei meiner schwangeren Mutter die Wehen ein. Natürlich passierte das zur Sperrstunde am Abend. Zwei Frauen aus dem Haus, von denen eine etwas Englisch konnte, bewaffneten sich mit einer weißen Fahne und stellten sich vor das Haus bis eine motorisierte Patrouille kam. Mühselig wurde ihr erklärt, um was es ging. Die beiden Frauen wurden aufgefordert, in den Jeep zu steigen, um zur Hebamme gebracht zu werden. Mit der Geburt dauerte es aber
noch einen Monat. Als es so weit war, haben eine Frau und ich meine Mutter zu Fuß ins Krankenhaus gebracht. Am 25. Juni kam meine Schwester zur Welt. Während des Krankenhausaufenthalts meiner Mutter vollzog sich die Übergabe der Ostzone an die Russen. Ich war während dieser Zeit bei meinen Großeltern und Mitbewohnern in der Kösener Straße.
Nach den technisch bestausgerüsteten Amerikanern kamen nun die sowjetischen Besatzer mit ihren Panjewagen und ziemlich abgerissenen Soldaten. Ob mein Vater noch lebte, wussten wir nicht. Ich glaube, die erste Post aus russischer Gefangenschaft kam Ende 1945. Mehr als zehn Worte durfte er nicht schreiben. Auch die Antwort meiner Mutter bestand nur aus zehn Worten. So erfuhr er jedenfalls, dass meine Schwester geboren worden war. Im Sommer 1947 kam mein Vater krank und zermürbt aus Rußland zurück.
Über diese Zeit - auch über die Kriegsjahre - hat er nie mit mir gesprochen. Er hat nur über die Gefangenschaft erzählt, dass derjenige, der beim morgendlichen Appell bei Namensaufruf nicht anwesend war, lange warten musste, bis sein Name wieder aufgerufen wurde.