natürlicherweise nicht. Wir wohnten im Block 8, Erdgeschoss vom Hauseingang rechts, wo mein Vater als Berufssoldat eine Dienstwohnung (ich nehme an seit 1935 ) hatte. Dort war auch schon 1936 meine ältere Schwester geboren worden. 1943 folgte dann noch eine weitere Schwester. Der Block 8 lag dem Haupttor der Kaserne schräg gegenüber.

Zu meinen ersten Erinnerungen an die Kaserne - ich sehe die Bilder noch deutlich vor mir - ist der Einmarsch meines Vaters an der Spitze seiner Kompanie, wohl von einer Felddienstübung zurückkehrend. Ich sehe heute noch die verschwitzten Männer hinter der damaligen Turnhalle hervorkommen und ich weiß auch noch, dass sie das Lied “Es war ein Edelweiß” gesungen haben.

Ich muss wohl damals drei Jahre alt gewesen sein, es war also 1942, als die Kaserne noch Kaserne war. Wann sie genau zum Lazarett umfunktioniert wurde, kann ich nicht sagen.

Viel mehr Erinnerungen an meinen Vater habe ich eigentlich nicht, außer der, dass er mich mal vermöbelt hat, als ich eine Brief an den Postkasten am Haupttor bringen sollte und ich mit meinem Dreirad über den damals für mich Knirps riesigen Exerzierplatz loszog. Dort am Tor traf ich meine kleine Freundin Christine Hofmann, die mit einem Holzroller ausgerüstet war. Christine wohnte in dem Block, der rechts vom Haupttor stand, allerdings im ersten Stock. Welcher Teufel uns geritten hatte, die Kaserne zu verlassen und in Richtung Stadt, dann aber irgendwie links in die Felder zu marschieren, bzw. zu fahren, ist heute nicht mehr nach zu vollziehen. Auf jeden Fall müssen wir Stunden unterwegs gewesen sein. Den Hunger, den wir mittlerweile bekommen hatten, versuchten wir jedenfalls mit den grünen Knollen, die oben an den Kartoffelstauden dran waren, zu stillen. Gott sei Dank waren da irgendwelche Leute, die uns davon abhielten und uns außerdem dringend rieten, schleunigst nach Hause zu fahren, weil inzwischen Fliegeralarm war. Als kleiner Kavalier habe ich erst Christine bei ihrer Mutter abgeliefert und ahnte da schon nichts Gutes, weil der Empfang bei Hofmanns nicht in der besten Stimmung stattfand. Etwas verzagt radelte ich dann wieder über den Platz bis zum Block 8, wo sich dann wohl die Sorgen meiner Eltern in der schon oben erwähnten Tracht Prügel entluden.

Als Spielgelände war die Kaserne für uns Kinder ideal. Das Gelände war mit vielen alten Bäumen bestanden, schöne Sträucher, Büsche und Sandkisten boten viele Spielmöglichkeiten. Dazu kamen die militärischen Einrichtungen, wie z.B. Erdbunker (einer befand sich in der Nähe der Turnhalle an einer Trauerweide, die wohl heute noch steht) oder der Schießstand, die Werkstätten und Garagen, das später errichtete Schwimmbad (Feuerlöschbecken) oder der Reitplatz. Ich kann mich nicht erinnern, dass uns einer mal etwas verboten hätte. Die großen Brüder von einer weiteren kleinen Freundin, Renate Mahnich, bauten für uns Laubhütten, was sie wohl als Pimpfe oder in der HJ gelernt hatten. Auch bei militärischen Übungen waren wir dabei. Ausgerüstet mit Pappstahlhelm und Holz-Seitengewehr mit Portepee des 53. Inf.-Reg. mit gelb-silberner Troddel war ich mal bei einer Schießübung mit MG und Platzpatronen dabei, wobei mir der Lärm sehr unangenehm war, die lilagefärbten Holzspitzen an der Munition sowie die aus den MG-Schlössern herausspringenden Patronenhülsen aber sehr interessant erschienen. Mit einem Holzpanzer, auf dem ich sitzen konnte, bin ich den heute noch vorhandenen abschüssigen Zugang zu den Kellern an der Schmalseite unseres Blockes heruntergerollt. Irgendwann hatte ich dann auch ein Maschinengewehr aus Holz, welches fleißig gekurbelt, mittels einer Hohlratsche ähnliche, wenn auch nicht ganz so laute Geräusche wie ein richtiges MG machen konnte.

Interessante Dinge waren die grüngelbe Leuchtfarbe an den Notausgängen der als Luftschutzraum vorgesehenen Kellerräume, sowie die immer etwas gruslig wirkenden schwarzen Figuren an den Wänden, die mit der Losung “ Vorsicht, Feind hört mit “ wohl vor dem Ausplaudern militärischer Geheimnisse warnen sollten. Eine solche schwarze Figur war u.a. rechts an der Eingangsseite der Turnhalle aufgemalt. Gruslig, aber auch immer wieder anziehend, ein kleines Gebäude mit blau gestrichenen Scheiben, welches als Übungsraum mit den Gasmasken diente und in dem wohl mit richtigem Gas der Ernstfall simuliert wurde. In dem Zusammenhang will auch noch die Ausgabe der so genannten Volksgasmaske an die Zivilpersonen erwähnen. Ich sehe meine Mutter noch mit den grauen Kartons ankommen, wo in einer entsprechend ausgeschnittenen Einlagenpappe der Filter und das für mich eklige und furchterregende Gummiding mit der Flatternase lag. Ja, auch wir Kinder wurden mit einem solchen Ding ausgerüstet, Gott sei Dank haben wir es nur einmal zur Probe und nie im Ernstfall anlegen müssen.

Ein weiteres Betätigungsfeld ergab sich für uns mit den Plattenstapeln, welche in der Nähe der Turnhalle gelagert, uns enorme Möglichkeiten zum Hasche spielen, Klettern und Verstecken boten.

Aus diesen Platten entstand, bei Luftalarm auf dem Exerzierplatz ausgelegt, ein riesiges Rote Kreuz, welches auf den Lazarettcharakter des Objektes hinweisen sollte. Ebensolche Kreuze waren auf den Dächern der einzelnen Blocks in enormen Dimensionen aufgemalt.

In der Turnhalle gab es öfters Kino, welches wir als Kinder auch besuchen konnten. Besonders erinnere mich an einen Film mit Hans Moser, der mir als Knirps besonders gefallen hat. Ich glaube, der hieß “Das Ferienkind“. Als Kinder wurden wir von den Landsern immer in die mit Decken verkleidete, wie eine Art Hängeboden gestaltete Eingangssituation gehoben, wo wir dann weich auf den Decken wie in einer Hängematte liegend, den jeweiligen Film “genießen” konnten. Im Nachhinein gesehen war das wohl so eine Art Lichtblende nach draußen, weil ja die Vorführungen, zumindest für uns, auch tagsüber stattfanden.

Das Einkaufen muss meiner Mutter wohl große Probleme bereitet haben. Musste sie doch mit drei Kindern, die Jüngste im Wagen und wir beiden anderen zu Fuß, mit uns von da draußen bis nach Naumburg ins Zentrum laufen und dann vor allen Dingen danach wieder mit uns und dem Einkauf den Berg rauf.

Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich dabei des öfteren gequengelt habe. Andererseits habe ich mich auch auf einen Stadtgang gefreut, weil ich nie versäumt habe, auf einen Besuch der Wenzelskirche (meiner Taufkirche) zu bestehen. Grund dafür war dort das Vorhandensein einer Spendenbüchse, auf der ein Afrikaner (wir sagten ja früher Neger) sich für das Einwerfen einer Münze mit Verbeugungen bedankte. Außerdem gab es da noch auf dem Rückweg meine Patentante Frau Frieda Klengel, welche ein Molkereigeschäft betrieb. An der Ladentür ein blaues Schild mit einem blondgelocktem Jungen mit der Werbung: “Henze Milchecken geben Kraft - schmecken fabelhaft“. Manchmal, wenn auch selten, gab es in dieser Zeit der Lebensmittelmarken eine dieser Milchecken oder etwas anderes mit auf den anstrengenden Weg zurück nach Hause. An einen Vorfall in diesem Laden kann ich mich noch erinnern. Meine Mutter wurde von jemanden gerügt, weil sie mit “Guten Tag” und nicht mit dem vorgeschrieben Gruß das Geschäft betreten hatte. Auch zum Arztbesuch mussten wir in die Stadt, einen Herrn Dr. Scholz habe ich eigentlich noch ganz gut in Erinnerung, wenn mir auch als Kind seine mit “kaltem” Leder bezogene Untersuchungsliege nicht so gefallen hat.

Brot holten wir dann in Flemmingen. Ich glaube, der Bäcker lag am südlichem Ende des Dorfes. Für Marken und Geld wurden dort riesige runde Brotlaibe eingekauft. Waren es 6 Pfund oder 9 Pfund, ich weiß es nicht mehr. Gelegentlich wurde dort auch Speckkuchen gekauft, den ich aber gar nicht so gern mochte, weil ich mir unter Kuchen eigentlich etwas Süßes vorstellte. Überschattet waren diese Einkaufsgänge des öfteren von Fliegeralarm. Dann mussten wir rennen, damit wir nach Hause oder sonst wie unter Dach kamen.

Gut kann ich mich auch noch auf unsere Ausflüge zum Bismarckturm, vorbei an einer Plantage mit Süßkirschen, erinnern. Am Bismarckturm gab es dann ein großes Henkelglas mit roter oder grüner Brause, welch ein Genuss für ein Kind damaliger Zeit. Irgendwann haben wir dann auch mal eine Rollschuhveranstaltung besucht. Ich weiß noch, dass wir links an der Lüttichkaserne vorbei gegangen sind, wo die Rollschuhbahn aber genau war, habe ich vergessen. Sehe aber immer noch mit meinen inneren Auge die damals zeitgemäßen Flaggen an der Sportanlage wehen. Auch eine Theatervorstellung haben wir besucht. “Kaiserkrone” oder “Reichskrone“ hieß der Aufführungsort in der Stadt, “Peterchens Mondfahrt“ oder “Hänsel und Gretel“ glaube ich da gesehen zu haben. In der Kaserne gab es anlässlich irgendeines Feiertages mal ein Konzert, an welches ich mich erinnern kann. Eine Kapelle mit für mich seltsam braunen Uniformen und komischen runden Mützen (ich war ja an das “solide“ Feldgrau gewöhnt), spielte da bei herrlichstem Wetter Marschmusik. Ein BDM - Chor war auch dabei: “An dem reinsten Frühlingsmorgen“ “Schäfermädchen und so lala“ sind mir noch erinnerlich. Irgendwie hatte meine Mutter mir zu verstehen gegeben, dass sie die braunen Männer auch nicht mochte und ich hatte immer ein komisches Gefühl, wenn ich so einem begegnete. Die Weihnachtsfeiern für die Kinder der Kaserne fand meistens im sogenannten Offizierskasino statt. Dieses lag nördlich der Kaserne etwas weiter im Wald zurück. Eine Feier ist mir deswegen in Erinnerung geblieben, weil ich nach dem Essen - es gab Corned Beef aus der Dose mit einer Soße, deren Bestandteile undefinierbar waren - das immerhin markenfreie, also zusätzliche Essen, auf natürlichem Wege, wenn auch rückläufig, wieder auf den Teller zurückbrachte, sehr zum Ärger meiner Mutter.

Was mich heute noch wundert, dass in diesen Zeiten die Dienstleistung Milch - und Brötchenlieferung noch zumindest anfangs noch funktionierte. Ich war immer ganz stolz, wenn ich morgens vom Türknauf den Brötchenbeutel abhängen und in die Küche bringen durfte. Wie das allerdings mit den Brotmarken gehandhabt wurde, kann ich mir auch heute nicht vorstellen.

Dass man damals noch große (mehlige) und kleine Kartoffeln (Salatkartoffeln) getrennt bestellen konnte, war mir, zumindest in den DDR - Zeiten, immer ein Rätsel.

In der Zeit, wo alles für den Kriegseinsatz gebraucht wurde, war das Sammeln von Rohstoffen weit verbreitet. So weiß ich noch, dass unsere Buchen in und um die Kaserne die herrlichsten Spender waren, wenn es galt, Bucheckern, angeblich zur Ölgewinnung, zu sammeln. Auch Kastanien und Eicheln haben wir gesammelt. Eine schöne Beschäftigung war das Einsammeln leerer Patronenhülsen oder das Suchen nach Blei im Kugelfang des Schießstandes. Daß ich dabei einmal im Sand die frischen Hinterlassenschaften eines Katers fand, werde ich bis zu meinem Lebensende nicht vergessen.

Das der Krieg immer härter wurde, merkten wir auch daran, dass das Lazarett immer voller wurde. Die Räume waren mit Verwundeten überfüllt. Wir als Kinder hatten fast überall Zutritt in die Krankenstuben und wir haben viele Freunde unter den Verwundeten gehabt. Waren es doch vielfach Familienväter, die ihre eigenen Kinder lange Zeit nicht gesehen hatten. Vielfach wurde die sicher nicht reichliche Essenportion mit uns geteilt, bzw. uns von einem Heimatpaket etwas abgegeben. Besonders beliebt waren bei uns diejenigen, die sich mit der Herstellung von Flugzeugen und Schiffen beschäftigten. Vielfach verbreitet waren ja damals Ausschneidebögen, aus denen dann Jagdflugzeuge oder Minensuchboote und dgl. geklebt werden konnten. Stolz kamen wir dann nach Hause, wenn uns ein solches Modell geschenkt worden war. Aber wir haben auch schlimme Bilder gesehen, junge Menschen, denen beide Beine fehlten oder die blind waren. Und das in einem solchem Lazarett in einer Konzentration, wie sie sonst natürlich nicht zu sehen war. Im südlichen hinteren Teil der Kaserne an den Garagen (jetzt stehen wohl in der Nähe kleine Eigenheime) waren ganze Halden von ausgedienten Gipsverbänden, mit Papierbinden ausgefüttert,teilweise durchgeblutet und vereitert, welche für uns Kinder immer ein, wenn auch grauenvoller, Anziehungspunkt waren. Auch Verstorbene haben wir dort in den Garagen, auf Papierkissen im Sarg aufgebahrt, liegen sehen.

Die Überfüllung nahm immer mehr zu. Neben den deutschen Verwundeten tauchten auch verwundete Kriegsgefangene auf. Neben Italienern und Franzosen waren besonders für uns interessant Russen, die wir als Kosaken bezeichneten, weil sie ein rotes Stoffkreuz auf ihren Uniformmützen hatten. Das war dann auch die Zeit der Notlatrinen. Überall im Kasernengelände wurden in den Grünanlagen sogenannte “ Donnerbalken “ errichtet, welche mit ihrem typischen Chlorgeruch uns das Spielen in ihrer Umgebung verleideten.

Ein großes Ereignis war für uns der Abschuss oder Absturz eines englischen oder amerikanischen Flugzeuges südlich der Lüttich-Kaserne, Richtung Flemmingen. Da strömte natürlich alles hin und auch wir Kinder waren dabei, obwohl wir aufgrund der Absperrung eigentlich nichts weiter außer verbrannte und zerstörte Flugzeugteile gesehen hatten, wurden dann anschließend wilde Schauergeschichten über ein noch im Stiefel steckendes, abgerissenes und verbranntes Bein des Piloten erzählt. Einer hatte natürlich immer mehr gesehen als der Andere. In diesem Zusammenhang fallen mir auch noch die von den Alliierten abgeworfenen, zur Störung des Flak-Radars dienenden, Alu-Streifen ein, die für uns Kinder immer ein Objekt der Begierde waren.

Einmal stand auch ein “Fieseler - Storch“ im Kasernengelände. Es war mir leider nicht vergönnt, ihn landen oder starten zu sehen, zu welchem Zweck er da war, weiß ich leider auch nicht.

An einen größeren Luftangriff kann ich mich erinnern. Die Kaserne (Lazarett) selbst ist ja nie angegriffen worden. Das Ziel war die Stadt. Wir saßen mit unseren Gasmasken und sonstigem, für den Ernstfall notwendigen Utensilien in unserer Wohnung im Korridor auf der zur Straße hin abgewandten Seite. Bei jedem Einschlag vibrierten und ratterten die Sperrholzfüllungen unser Zimmertüren entsetzlich. Unsere Mutter versuchte uns damit zu beruhigen, dass die Ursache dafür das Abwehrfeuer unserer Flak sei, die die feindlichen Flugzeuge vertreiben würde. Furchterregend, neben dem Lärm, auch die so genannten “Christbäume”, die bei Mutters Kontrollblicken in Richtung Stadt teilweise auch für uns zu sehen waren. Heute weiß ich, dass das die Bombenabwürfe in Naumburg waren, welche uns diese schreckliche Geräuschkulisse bescherten und die schauerlich-schöne Himmelsbeleuchtung zur Zielmarkierung diente

Im hinteren südlichen Teil des Kasernengeländes hatten wir dann auch ein Stück Gartenland, um die Versorgung mit Gemüse etwas aufzubessern . Hier waren wir auch gerade im April 1944 mit den ersten Bestellarbeiten beschäftigt, als mein Merseburger Großvater mit einem Brief erschien, der die Nachricht über den “Heldentod“ meines Vaters enthielt. Wie meine Mutter da und in der nächsten Zeit reagiert hat, weiß ich nicht mehr. Was ich noch weiß, ist dass nach einiger Zeit die Holzkiste meines Vaters mit seinen persönlichen Sachen bei uns auftauchte. Sie enthielt u.a. die Feldmütze meines Vaters, vorn über dem rechtem Auge ein kleines Einschussloch, hinten ein zerfetztes größeres Ausschussloch, obwohl gereinigt, noch mit Blutflecken. Dieses Bild wird mir wohl noch bis zu meinem Lebensende in Erinnerung bleiben.

Wie es nach der Zeit eigentlich weiterging, weiß ich eigentlich auch nicht mehr so genau. Da ich meinen Vater ja sowieso kaum gesehen hatte, er war ja immer an der Front, habe ich sein Ableben in diesem Alter so gar nicht recht realisieren können. Außerdem hatten wir ja noch mehrere Kinder unter unseren Spielkameraden, deren Väter oder Brüder auf dem “Felde der Ehre“ geblieben waren, so dass wir eigentlich nichts Besonderes waren.

Dann kam die Zeit, da mussten wir in den Keller ziehen. Wir hatten zwei schöne, große und vor allen Dingen trockene und saubere Kellerräume. Dort bewahrten wir neben dem üblichen Kram, wie Koffer, Kartons usw. vor allen Dingen solche Dinge wie in Salz konservierte grüne Bohnen, selbstgemachtes Sauerkraut, eingemachtes Obst, Saft und natürlich unsere Kartoffeln auf. Wie das mit dem Heizmaterial war, entzieht sich meiner Kenntnis. Sicher weiß ich noch, dass im Bad ein kohlebeheizter, kupferner Badeofen stand, ich kann mich aber nicht mehr an einen weiteren Ofen in unserer Wohnung erinnern.

Also, wir mussten in den Keller ziehen. Grund dafür war der sogenannte Panzerdurchbruch der Amerikaner. Mutter hatte, wie auch immer, zwei Betten im Keller aufgestellt, die wir Vier uns teilen mussten. Die Fenster waren mit Sandsäcken abgedichtet, so dass wir kein Tageslicht hatten.

Notwendige Bedürfnisse wurden über das “Töpfchen“ abgewickelt. Ob und wie wir uns gewaschen haben, kann ich nicht mehr sagen. Die Verpflegung war kalt. Wir Kinder durften jedenfalls den Keller nicht verlassen. Über dem Ganzen lag jedenfalls eine seltsame Spannung. Irgendetwas sollte passieren.

Und es war etwas passiert. Als wir wieder nach draußen durften, hatte sich die Welt verändert. Die Straße vor den einzelnen Kasernenblocks stand voll mit für uns fremdartigen Fahrzeugen mit einem aufgemalten weißen Stern. Da gab es khakifarbene Uniformen, Neger in Uniform und Soldaten mit ganz komischen flachen Stahlhelmen (Engländer ?). Viele wollten meine kleine Schwester auf den Arm nehmen und wir bekamen so braune Schachteln geschenkt, in denen, für mich allerdings uninteressant, gepresster Kaffee, Erbsmehlwürfel und dgl. waren. Viel mehr Interesse konnte ich für das in Stannioltütchen verpackte Brausepulver und vor allen Dingen für die Wachsschicht, mit der die braune Schachtel versehen war aufbringen, weil man da mit dem Fingernagel so schön kratzen konnte. Auch Schokolade gab es gelegentlich, ein Genuss, den wir ja die Kriegsjahre hindurch gar nicht kennen gelernt hatte. Die ganze Herrlichkeit hatte aber bald ein Ende, als dies unsere Mutter mitkriegte, denn noch war der Amerikaner der Feind.

Und nochmals veränderte sich die Welt für uns. Eines Tages waren wir in dem ganzen Kasernengelände allein. Wo waren die ganzen Verwundeten, das Pflegepersonal und unser Militär abgeblieben, ich weiß es nicht. Plötzlich hatten wir das ganze Kasernegelände für uns.

Die Lager standen offen und die Regale bis an die Decke waren angefüllt mit allen Dingen, die man sich nur vorstellen konnte. Vom Reitsattel bis zum Ersatzmotor, von der Kaffeetasse bis zur Bettwäsche war da alles zu finden. Vor allen Dingen die älteren Kinder wussten da schon ganz schön mit umzugehen und mir fällt da noch ein Junge namens Fritz aus der Lüttichkaserne ein, der uns Kleine, und vor allen Dingen die Mädchen, immer mit angezündeten Streichhölzern bewarf, die aus seinen “Beutezügen“ stammten. Was mir auch erst damals aufgefallen ist, vor den Lagergebäuden war eine große Halde mit Steinkohlenkoks, eigentlich ein Wunder in diesen Zeiten des allgemeinen Mangels. Was meine “Beutezüge“ anbetraf, beschränkten sich diese auf ein Bündel Zimmermannsbleistifte in Kriegsqualität, mit denen ich dann später, als ich in der Schule war, noch meine Schreibübungen auf Packpapier machen durfte. Auch muss ich wohl noch 3-4 Büchsen rotbraune Fußbodenfarbe sowie einen ledernen Treibriemen angeschleppt haben. Beides kam uns in der Nachkriegszeit noch sehr zustatten.

Und plötzlich hatte sich die Welt für uns wieder - und war ganz rapide - gewandelt. Der Russe war da! Auf Panjewagen und LWS`s kam da ein Völkergemisch über uns, wie wir es uns überhaupt nicht vorgestellt hatten. Lange konnten wir aber das Schauspiel nicht bewundern. Meine Mutter hatte uns durch jemanden suchen lassen und war in hellster Aufregung. Wir hatten die Kaserne innerhalb von sechs Stunden zu verlassen. Die Wohnung musste wohnlich eingerichtet bleiben und wir konnten nur Teile unserer Einrichtung mitnehmen. Wer das organisiert hat und wie meine Mutter das in dieser kurzen Zeit geschafft hat, die uns verbleibenden Möbel, Wäsche und Kleidung zu verpacken und zu verladen, ist mir heute noch rätselhaft. Die Sachen kamen auf den Tanzboden der Gaststätte in Flemmingen und wir fanden uns in einem Haus in einer Seitenstraße etwas unterhalb der Kaserne wieder. Hier wohnten wir bei einer älteren Dame, deren Name mir leider entfallen ist. Auch ein russischer Offizier war da mit einquartiert, welcher gelegentlich seine Verpflegungsration zu unseren Gunsten mit auf den karg gedeckten Tisch des Hauses stellte.

Es muss wohl Juni oder Juli 1945 gewesen sein, als ich mich mit meiner Familie im Passagierabteil an der Vorderfront eines roten Umzugswagens wiederfand, gezogen durch einen Holzvergaser-LKW. An die Fahrt selbst kann ich mich nicht weiter erinnern, aber die Einfahrt in das kriegszerstörte Merseburg, links und rechts an den Straßenrändern hohe Trümmerberge mit den kleinen Durchlässen, da wo die Haustüren waren, die bleibt mir unvergessen. In der Wohnung meiner Großeltern fanden wir dann endgültige Aufnahme und im selben Jahr kam ich in Merseburg auch in die Schule. Aber das ist schon wieder das nächste Kapitel.