Gebäude letzterer betrieben wurde. Meine Familie, bei der ich in “Pension” war, lebte in der Kösener Strasse.Merkelbach: Wilde Zeiten

Auf dem Weg ins Ferienlager Stadtroda, 1954Eines Tages wurde ich zum Friseur geschickt und stolperte in dieses oben beschriebene Geschäft. Da man mich “scheißfreundlich” behandelte, fasste ich Vertrauen und lies mich vom Friseur ausfragen:

“Na. mein Junge, wo kommstn her?” “Aus Bad Bibra.” “Ach, un da jehst wohl in Bad Bibra och zum Haareschneiden?” „Ja, bei Friseur Hörich.” “Na, wie wern denn da die Haare jeschnittn?” “Na, wie wern sen jeschnitten wern. Wie bei Ihn och.” “Ach, un ich hatte jedacht, De grichst n Nachttopp offn Kopp un alles was raufguckt werd abjeschnitten!”

Ich bekam eine schamviolette Gesichtsfarbe und schwieg ab sofort, zahlte die Rechnung und verließ diesen Laden - für immer. Wenn ich später vorbei ging, habe ich noch nicht einmal in das Schaufenster geschaut. Ein Hundsfott, dieser Friseur.

Kunst und Bier

Ich erinnere mich, dass wir (einige Schulkameraden und ich) in einer Aufführung des Stückes “Thomas Müntzer” als Stadtsoldaten auftraten. Wir standen tonlos herum und im dritten Akt flohen wir vor dem aufgebrachten Volk. Alle flüchteten - bis auf “Wim”, mein Klassenkamerad Wilhelm vom Marientor. Der blieb und setzte sich zur Wehr. Keine Regie hatte dazu Anweisung gegeben - aber nachdem er es einmal gemacht hatte, musste er diese tapfere Tat auch bei den nächsten Aufführungen wiederholen - und bekam jedes Mal fürchterliche Prügel vom Volk (Mitglieder einer anderen Klasse unserer Schule). Anschließend haben wir das abendliche “Gage” (waren es M 3,- ??) in der Zille-Stube verzecht. Der große Tisch, gleich wenn man rein kam gegenüber an der Wand, war von Schröder schon freigehalten worden. Oder - es sassen schon Freunde und Freundinnen dort, die auf die größeren Geldmengen warteten. Auf mich wartete Claudia. Sie trank gern und reichlich Pilsener - für mich blieb dann höchstens noch ein halber Liter Bier. Und ich hatte sooo Durst! Eine Tages kam ich in die Zille-Stube und wurde von Schröder mit der Frage überrascht: “Weest De schon, dass mer in Naumburg eene Werft ham?” “Nee, wo en?” “Na, in der Henne-Brauerei. Die machen jetzt ‘Kriegsschiffe’!”

Der Pflegevogel

Im Winter hatte ich in Bad Bibra abends auf der Ladestrasse einen fast erfrorenen, also nahezu bewegungslosen, schwarzen Vogel gefunden. Ich nahm ihn behutsam in meine handschuhbewehrten Hände und brachte das Tier nach Hause. In der Küche setze ich ihn ab - das Tier begann gänzlich aufzutauen und verkroch sich unter dem Küchenschrank. Meine Mutter war begeistert und verlangte, dass das Vieh sofort entfernt werden müsse. Es gelang mir unter Aufbietung meines gesamten kindlichen Charmes meine gestrenge Mutter zu davon überzeugen, dass das Tier noch bis zum Sonntag in der Küche bleiben könne. Ich würde es dann mit nach Naumburg nehmen. Das tat ich dann auch und brachte den Vogel noch am Abend zur Zille-Stube. Herr “Haupt-ist-mein-Name” hatte im kleinen Hof hinter der Scheibe am Tresen einen Tierpark. Und dort wurde auch dieses Tier untergebracht. Am Montag nach der Schule und dem Mittagessen ging ich natürlich zu meinem Vogel und wurde von Haupt und Schröder freudig empfangen. Wir gingen an den Stehtisch rechts in der Ecke hinter dem Tresen und nahmen einen Schnaps und ein Bier. Das Tier musste getauft werden. Es war ein Blässhuhn aus der Familie der Sumpfhühner und sollte “Hansi” heißen. Einige Wochen später - abends - wurde ich wieder an diesen Tisch in der Ecke gerufen, der vom Lokal nicht einsichtig war. Wieder kamen die Beiden mit Schnaps und Bier. Mit schrecklicher Mine und stockend wurde mir verkündet: “Hansi ist nicht mehr.” Trotz bester Ernährung und Pflege hatte sich der Wasservogel in dem trockenen Hof allein wohl doch nicht entwickeln können und war einsam verstorben. Wir haben gehörig “über sein Grab geschossen”. Es war ein schrecklicher Abend.

Als Knabe in der Mädchenpension

Gelegentlich bat mich Schröder, auch nach Schließung des Lokals dazubleiben. An diesen Tagen kamen Kellner und andere muntere Knaben aus anderen Lokalen und spielten mit Haupt hinten links (wo die Tür zur Toilette war) am runden Tisch (?) Glücksspiele. Da Haupt den ganzen Abend (und sicherlich auch tagsüber) gewissenhaft die Qualität des von ihm gezapften Bieres prüfte, war er nächtens schon mal etwas unbesonnen und unvorsichtig. Da Schröder aufräumen musste, bat er mich, ein Auge auf seinen Chef zu werfen und aufzupassen. Wenn er dann fertig war, übernahm er und ich trabte durch die dunkle, menschenleere Stadt (Marienstrasse und dann Burgstrasse) in meine damalige Unterkunft. Ich wohnte als einziger Knabe in einer Mädchenpension in der Burgstrasse. Selbstverständlich weit entfernt von den Mädels. Die schliefen in der abgeschlossenen Wohnung parterre und ich hatte ein Zimmer im zweiten Stock für mich allein. Später zog noch ein mit mir befreundeter Lehrer zu mir, der in Bibra auch in unserem Hause mit seinen Eltern wohnte. Die gemeinsame Toilette von den Mädchen und uns war außerhalb der Wohnung im Parterre. Die Mädels, die mir wohlgesonnen waren, ließen dann nachts ein Fenster in der Toilette angelehnt und unverschlossen, durch das ich nach meinen nächtlichen Exkursionen „einschliefen" konnte. Natürlich hatte ich - fast - die gleichen Pflichten, wie die Mädels. Das heißt in einem konkreten Fall, dass ich auch den Tisch decken und abräumen musste. Stand ich dann abends mit Freunden vor der Tür, konnte es passieren, dass eines der Mädchen erschien und laut und vernehmlich rief: “Komm rein, Du hast ‘Deckwoche’.” Ein Hundsfott, der Schlechtes dabei denkt.